Als letztes Land in Afrika befreite sich Nigeria vom wilden Poliovirus. Doch eine Mutation brachte die Kinderlähmung zurück. Lässt sich Polio wirklich ausrotten?
Wie ein altersschwacher Föhn schaufelt träger Wind die Hitze unter das Wellblechdach der Krankenstation von Gagi. Noch steht die Sonne nicht im Zenit, doch die angekündigten 38 Grad spüren die Wartenden schon jetzt. Auf langen Holzbänken, glattpoliert von Jahren unruhigen Wartens, hocken rund 70 Frauen. Auf ihren Schößen sitzend, an ihren Händen hängend oder spielend in den Gängen: Kinder, die eigenen und die Enkel. In Gagi, im nordwestlichsten Zipfel Nigerias, ist heute Impftag.
Balkisu Yusuf orchestriert das Geschehen mit fester Hand und Stimme. Die 52-Jährige trägt einen weißen Hijab, fest umschließt das Kopftuch ihr Gesicht. Auf dem Plastiktisch vor ihr stapeln sich blaue und grüne Impfbögen. Jede Karte steht für ein Kind, jeder Abschnitt darauf für eine Krankheit, gegen die es Vakzine gibt. Im Akkord zieht die Krankenschwester Spritzen auf, piekst damit in Oberschenkel und Arme, träufelt Impfstoff in kleine Münder, tröstet Kinder, trocknet Tränen und spricht Müttern gut zu.
Das heute so viele Frauen mit ihren Kindern gekommen sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Im muslimisch geprägten Norden von Afrikas bevölkerungsreichstem Land, gibt es viele Gründe, die gegen einen Besuch in der Krankenstation sprechen. Nicht jeder kann sich die Fahrt mit Bus oder Taxi leisten oder kann die Familie und die Arbeit für einen Tag zurücklassen, um ein Kind zu impfen. Hinzu kommen die angespannte Sicherheitslage und schließlich auch die Gerüchte, warum westlichen Impfstoffen nicht zu trauen sei, etwa weil sie tierische Bestandteile von Schweinen oder Affen enthalten würden. Das es trotzdem vorangeht, hat Nigeria seinen Frauen zu verdanken.