Nervenkrieg
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Der Sound moderner Kampfdrohnen setzt sich in den Ohren und Köpfen seiner Opfer fest und verlässt sie oft nicht mehr. Konfliktbeobachter und Psychologen warnen vor einem Krieg der Nerven, der Soldaten wie Zivilisten traumatisiert.
Hier hebt eine Harop ab. Die Kampfdrohne wird von einer auf die Ladefläche eines LKW montierten Startvorrichtung in die Luft katapultiert. Schnell gewinnt sie an Höhe. Das Auge verliert die Drohne - aber zu hören ist sie weiterhin.
Ich meine, es war am zweiten Tag des Krieges, als ich zum ersten Mal davon gehört habe. Wir waren in Stepanakert und sprachen mit jemandem, der gerade aus einem der kleinen Dörfer gekommen war. Er hat mir davon erzählt, dass er nicht mehr schlafen konnte. Jedes Mal, wenn er es versucht hat, meinte er, diese Drohnen zu hören — obwohl da nichts war.
Gevorg Tosunyan hat 2020 aus Bergkarabach berichtet. Aus dem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan, den die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer später den “ersten Drohnenkrieg der Geschichte”nannte. Wer ihn überlebt hat, erinnert sich vor allem daran wie er geklungen hat. An surrende Elektromotoren, das monotone Brummen von Dieselaggregaten hoch in der Luft. Es sind Geräusche, die den Menschen ins Ohr kriechen und es oftmals nicht mehr verlassen. Geräusche, die heute Kriege weltweit prägen — von Sudan, über Gaza bis hin zur Ukraine. Mit brutalen Langzeitfolgen für die Betroffenen.
Eine Kamikaze-Drohne hört sich im Flug so an: Wuuuuu. Und dann, wenn sie ein Ziel entdeckt hat, ändert sich das Geräusch. Pffiioo. Und dann hört man nur noch die Explosion. Überwachungsdrohnen klingen anders als Angriffsdrohnen. Sie sind viel schwerer zu hören. Mmmmmhhh. So in etwa. Wenn du dieses Geräusch hörst, hast du noch 14 Minuten. Dann schlägt die Artillerie zu, weil die Drohne dich entdeckt und gemeldet hat.
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Der Deal
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Das EU-Türkei-Abkommen von 2016 gilt europäischen Politikern als Erfolg. Aus türkischer Sicht ist die Sache komplizierter.
Vielen Dank, Herr Präsident Erdoğan, für diesen herzlichen Empfang. Der Kollaps des Assad-Regimes gibt dem syrischen Volk Hoffnung, aber es gibt Risiken. Wir beobachten die Lage sehr genau.
So beginnt Ursula von der Leyen am 17. Dezember 2024 ihre Rede bei der Pressekonferenz anlässlich ihres Besuchs in der Türkei. Die EU-Kommissionspräsidentin ist zu Gast bei Präsident Recep Tayyip Erdoğan in der Hauptstadt Ankara. Keine zwei Wochen nach dem Sturz des Assad-Regimes sprechen die beiden über ein Thema, das die Europäische Union und die Türkei wie kein anderes verbindet: Syrien und der Umgang mit den von dort geflohenen Menschen.
Ich freue mich, heute eine weitere Milliarde Euro für 2024 anzukündigen, für Gesundheitsversorgung und Bildung für syrische Geflüchtete in der Türkei, ebenso für Migrations- und Grenzaufgaben, und auch die Rückkehr syrischer Flüchtlinge.
Neun Jahre nach der Unterzeichnung des EU-Türkei-Abkommens beginnt mit dem Ende der syrischen Diktatur ein neues Kapitel in den Beziehungen beider Partner.
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Zeitenwende
U.S. Marine Corps/Cpl. Jennessa Davey
Die Kriege um Bergkarabach und in der Ukraine zeigen: Drohnen sind ein wichtiger Teil künftiger Konflikte. Ist die Bundeswehr vorbereitet?
Karen Ghahriyan bewegt sich langsam. Seine Füße zieht der armenische Soldat schleifend über das Parkett. Er hat Mühe, die Beine anzuheben. Seine Hände greifen unsicher nach der gepolsterten Lehne des Sofas, in das er sich schließlich fallen lässt.
Ich war zu Hause, als der Krieg begann. Ich lief direkt zu der Militäreinheit, in der ich damals als Soldat diente. Aber als ich dort ankam, sah ich, dass alles zerbombt war. Wir waren für die Flugabwehr zuständig und hatten von Anfang an große Probleme mit Drohnen. Sie haben meine ganze Einheit ausgelöscht.
Ghahriyan war an der Front, als Aserbaidschan in der Kaukasusregion Bergkarabach im September 2020 eine Offensive startet. Annegret Kramp-Karrenbauer, damals Verteidigungsministerin, wird den Krieg später den “ersten echten Drohnenkrieg” nennen. Der Soldat Ghahriyan hätte die Kampfhandlungen beinahe nicht überlebt. Heute sitzt der Vierzigjährige zittrig und vorzeitig gealtert in einer Klinik für verwundete Soldaten und erinnert sich. Nicht nur seine Militäreinheit war zerstört, auch für ihn endete der Krieg kurz danach bei einem Einsatz:
Ich war verantwortlich für den Transport von militärischer Ausrüstung von Karmir Shuka nach Hadrut, als es passierte. Eine Bayraktar hat uns erspäht und auf uns geschossen. Sie brachten mich zuerst nach Stepanakert und dann zur Behandlung nach Jerewan. Das war am 11. Oktober. Die nächsten acht Monate lag ich im Koma.
Als Ghahriyan aufwacht, hat sein Land den Krieg verloren. Ein Waffengang, der nur wenige Wochen dauerte und von Militärs auf der ganzen Welt aufmerksam beobachtet wurde.
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Update: Ende Dezember 2024 hat das Bundesministerium der Verteidigung die so genannten Grundsätze für den Einsatz bewaffneter Drohnen verabschiedet. Es ist das vorläufige Ende einer mehr als zehn Jahre langen Debatte in Deutschland um die Beschaffung solcher Waffensysteme.
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Lange letzte Meter
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Trotz wirksamer Impfstoffe, Milliardeninvestitionen und koordinierter Bemühungen fast aller Länder lähmt Polio weiter Kinder weltweit. Zuletzt auch in Gaza.
Die Poliomyelitis ist wieder in den Schlagzeilen. Das fällt umso mehr auf, als die in Deutschland als Kinderlähmung bekannte Virusinfektion fast schon verschwunden war — ein Erfolg der größten Impfkampagne, die die Menschheit jemals zur Ausrottung eines Krankheitserregers organisiert hat. Doch dann gab es kurz vor dem Ziel einen Rückschlag, der jetzt, acht Jahre später, im Kriegsgebiet in Gaza zur akuten Bedrohung wird.
Der Nachweis von Polio im Abwasser von Gaza ist ein klares Zeichen dafür, dass das Virus in der Gemeinde zirkuliert und ungeimpfte Kinder gefährdet.
Das Virus ist in Abwasserproben aufgetaucht, warnt Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, ein klares Zeichen dafür, dass Polio in der Bevölkerung zirkuliert. Kurz darauf ein erster Fall, ein zehn Monate altes Baby mit Lähmungserscheinungen. Die WHO will 640.000 Kinder impfen, um zu verhindern, dass sich das Virus noch weiter ausbreitet. Es wird nicht ungefährlich für das Team um Hamid Jafari.
Genau darum geht es. Die Waffenruhe muss halten. Nur so sind die Impfhelfer sicher und nur so trauen sich die Familien, ihre Kinder zum Impfen zu bringen.
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New Big Oil
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Kann der reichste Mann Afrikas seinem Heimatland Nigeria mit einer neuen Riesenraffinerie aus der Wirtschaftskrise helfen?
Eine Tankstelle im Norden der nigerianischen Metropole Lagos. Es ist später Nachmittag und auf der vierspurigen Straße vor der Tankstelle staut sich der Verkehr. Dutzende Autos, Lastwagen und Motorräder warten trotz beginnender Rushhour darauf, endlich an die Reihe zu kommen.
Ich habe gerade Benzin getankt, für 568 Naira je Liter. Hier ist es günstiger. Die anderen Tankstellen verkaufen den Liter für 615, 620 oder 650 Naira. Der Preis schwankt stark. Man kann schon einiges sparen, wenn man hier kauft. Am Ende bleibt aber so oder so wenig übrig, um uns und unsere Familien zu ernähren, und das Motorrad zu warten.
Elijah Omale sitzt auf einem kleinen Motorrad, das sichtlich in die Jahre gekommen ist. Hinter dem abgewetzten Fahrersitz ist eine große Kiste auf den Gepäckträger gespannt. Omale arbeitet als Kurier.
Was übrig bleibt, dass reicht nicht, um ausreichend Nahrung für uns zu kaufen. Auch für die Ersatzteile reicht das, was ich mit dem Job verdiene, nicht aus. Die wirtschaftliche Lage bringt uns noch alle um.
Nigeria, mit 230 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas, steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Vor zehn Jahren noch war die ehemalige britische Kolonie die stärkste Volkswirtschaft des Kontinents. Heute liegt Nigeria laut dem World Economic Outlook des Internationalen Währungsfonds, IWF, hinter Südafrika, Ägypten und Algerien auf dem vierten Platz.
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Die Lähmung überwinden
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Als letztes Land in Afrika befreite sich Nigeria vom wilden Poliovirus. Doch eine Mutation brachte die Kinderlähmung zurück. Lässt sich Polio wirklich ausrotten?
Wie ein altersschwacher Föhn schaufelt träger Wind die Hitze unter das Wellblechdach der Krankenstation von Gagi. Noch steht die Sonne nicht im Zenit, doch die angekündigten 38 Grad spüren die Wartenden schon jetzt. Auf langen Holzbänken, glattpoliert von Jahren unruhigen Wartens, hocken rund 70 Frauen. Auf ihren Schößen sitzend, an ihren Händen hängend oder spielend in den Gängen: Kinder, die eigenen und die Enkel. In Gagi, im nordwestlichsten Zipfel Nigerias, ist heute Impftag.
Balkisu Yusuf orchestriert das Geschehen mit fester Hand und Stimme. Die 52-Jährige trägt einen weißen Hijab, fest umschließt das Kopftuch ihr Gesicht. Auf dem Plastiktisch vor ihr stapeln sich blaue und grüne Impfbögen. Jede Karte steht für ein Kind, jeder Abschnitt darauf für eine Krankheit, gegen die es Vakzine gibt. Im Akkord zieht die Krankenschwester Spritzen auf, piekst damit in Oberschenkel und Arme, träufelt Impfstoff in kleine Münder, tröstet Kinder, trocknet Tränen und spricht Müttern gut zu.
Das heute so viele Frauen mit ihren Kindern gekommen sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Im muslimisch geprägten Norden von Afrikas bevölkerungsreichstem Land, gibt es viele Gründe, die gegen einen Besuch in der Krankenstation sprechen. Nicht jeder kann sich die Fahrt mit Bus oder Taxi leisten oder kann die Familie und die Arbeit für einen Tag zurücklassen, um ein Kind zu impfen. Hinzu kommen die angespannte Sicherheitslage und schließlich auch die Gerüchte, warum westlichen Impfstoffen nicht zu trauen sei, etwa weil sie tierische Bestandteile von Schweinen oder Affen enthalten würden. Das es trotzdem vorangeht, hat Nigeria seinen Frauen zu verdanken.
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In Abschiebehaft
© Privat
Für ein bayerisches Ehepaar endete ein Türkeiaufenthalt im Abschiebegefängnis. Mitfinanziert werden diese Gefängnisse von der EU. Das Ehepaar berichtet von menschenunwürdigen Verhältnissen.
Im Dezember 2023 wird das Ehepaar Gabriela und Walter Wimmer in der Türkei festgenommen. Die Polizisten bringen sie in ein Abschiebegefängnis in der Nähe der Stadt Gaziantep, etwa 40 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Ihr Touristenvisum war abgelaufen. Die folgenden Wochen bis zu ihrer Abschiebung werden für sie zum Albtraum.
Die Erzählungen des deutschen Ehepaars zeichnen das Bild eines von der EU mitfinanzierten Asylsystems, in dem grundlegende Menschenrechte verletzt werden.
Alles beginnt mit einer Reise in die Türkei. Die Wimmers machen Urlaub in einem der beliebtesten Reiseländer der Deutschen. Sie sind vor Ort, als ein Erdbeben am 6. Februar 2023 den Südosten der Türkei und Nordsyrien erschüttert. Rund 60.000 Menschen sterben. Das bayerische Ehepaar beschließt spontan zu helfen.
Die 90 Tage, in denen sich Touristen visafrei in der Türkei aufhalten können, laufen ab. In der Ausnahmesituation halten sie es nicht für nötig, sich um ein Visum zu kümmern, sagen sie heute. Ein Fehler - im Dezember nimmt sie die Polizei fest. Walter Wimmer berichtet, er sei im Verhör geschlagen worden. Seine Ehefrau bestätigt das. Die türkischen Behörden antworten auf die Fragen zu den Vorwürfen bis zum Redaktionsschluss nicht.
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Am anderen Ufer
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Jordanien gehört im Nahen Osten zu den engsten Partnern Israels. Doch der Gazakrieg stellt das Königreich vor eine Bewährungsprobe.
Die Demonstranten sind pünktlich. Sie kommen zum Freitagsgebet in die Altstadt von Amman, die jordanische Polizei allerdings ist bereits mit einem Großaufgebot vor Ort. Zehn weiße Reisebusse stehen mit laufenden Motoren auf einer Straße nur wenige hundert Meter von der Al-Husseini-Moschee im Herzen der Hauptstadt entfernt. Darin warten Beamte in schwerer Schutzausrüstung auf das Ende des Gebets und den Beginn der Proteste.
Um 13 Uhr geht es los. Faisal und seine Freundin gehören zu rund 600 Menschen, die an diesem Tag im April durch Amman ziehen, um gegen den Gazakrieg zu protestieren. Es ist der erste Freitag nach Ende des Fastenmonats. Faisal studiert in Deutschland und war während des Ramadan in seine Heimat Jordanien gereist.
Wir müssen hierherkommen. Das ist mein Beitrag, ich muss meinen Beitrag leisten. Ich komme so oft ich kann. Aber ich wohne in Stuttgart, da gehe ich auch zu den Demonstrationen. Wann immer ich kann, bin ich da.
Der Protest ist friedlich, aber laut. Vor allem aber ist solch eine Demonstration ungewöhnlich. Im Königreich Jordanien sind Proteste nicht alltäglich. Doch seit Israel als Reaktion auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober den von Palästinensern bewohnten Gazastreifen bombardiert, hat sich das geändert. Auch in Jordanien entlädt sich nun der Volkszorn.
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Menschenparkplatz
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Albanien nimmt immer wieder Menschen auf, die in den USA und Europa unerwünscht sind. Nun sollen Zehntausende Geflüchtete in Lagern interniert werden. Es regt sich Widerstand in dem Land, dessen Jugend selbst auswandert.
Früher Vormittag in Shengjin. Graue Winterwolken hängen über dem verschlafenen Küstenstädtchen an der albanischen Adria. Im Café des Hotels Triho, gegenüber dem kleinen Hafen, wärmen sich die Fischer von Shengjin bei Raki und Espresso Macchiato auf. Neben mir sitzt Aleksander Marku und redet sich in Rage.
Wenn man die Leute fragt, sind alle gegen dieses Abkommen. Wenn die Migranten legal einreisen würden, um zu arbeiten, wäre das kein Problem. Aber so viele Menschen in einem Lager zu isolieren, das ist etwas anderes.
Der kräftige Mittfünfziger dreht sich um, blickt zu den anderen Tischen und bellt eine Frage in den Raum.
Was denkt ihr, sollen die Afrikaner zu uns kommen?
Ein Mann — Jogginganzug, Dreitagebart, eine brennende Zigarette in der Hand — lehnt mürrisch ab. Marku ruft noch einmal, lauter. Jetzt bekommt er die verlangten Antworten.
Glaubst du, die Afrikaner sollten zu uns kommen? Nein. Nein. Nein. Nein. Viermal nein. Sechs, sieben. Okay? Und es ist erst 9 Uhr morgens. Noch zwei Drinks mehr und dann sind wirklich alle hier dagegen.
Shengjin ist eine Küstenstadt mit wenigen tausend Einwohnern und eines der touristischen Zentren im Norden Albaniens. Die einzige Straße durch den Ort führt vorbei an zehnstöckigen Hotels, einem verfallenen Stripclub, einer Metzgerei und vielen kleinen Cafés. Die Menschen hier leben vom Fischfang, von den Touristen aus dem nahen Kosovo und dem Geld, das Verwandte überweisen, die im Ausland Arbeit gefunden haben. Shengjin ist kein Ort, der Schlagzeilen macht. Eigentlich.
… vollständige Reportage hören (Deutschlandfunk — Die Reportage)
Im Grenzland
© Privat
Seit ihrer Verhaftung durch die chinesische Polizei am 10. Februar 2023 weiß niemand, wo Zhanargül Zhumatay ist. Was bleibt, wenn ein Mensch von einem Tag auf den anderen verschwindet?
In Xinjiang gibt es viele Regeln. Die ethnische Kasachin Zhanargül Zhumatay verstößt gegen die Wichtigste: Sprich nicht über das, was hier mit den muslimischen Minderheiten geschieht. Doch die Sängerin und Aktivistin macht die Zustände ihrer Haft im “Umerziehungslager” öffentlich, beklagt nach ihrer Freilassung Korruption und Verfolgung durch die lokalen Behörden, informiert Menschen im Ausland. Danach bleiben ihr noch 40 Tage in Freiheit, bis die Polizei erneut kommt, um sie abzuholen.
Der Anthropologe Rune Steenberg hat in dieser Zeit seine Telefonate mit ihr aufgezeichnet. So entsteht ein Archiv, das einen ungeahnten Einblick in das System der Unterdrückung in einer der am stärksten abgeschotteten Regionen der Welt gibt. Nach Zhumatays Verhaftung reist Steenberg nach Kasachstan, um ihrer Spur zu folgen.
… vollständige Reportage hören (Deutschlandfunk — Das Feature)
… vollständige Reportage hören (ORF Ö1 — Hörbilder)
… vollständige Reportage hören (WDR5 — DOK5)
… vollständige Reportage hören (SWR Kultur — Feature)
Heikle Nachbarn
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Kasachstan und die afghanischen Taliban proben die wirtschaftliche Annäherung. Für beide Seiten geht es um weit mehr als Weizenmehl und Speiseöl.
Gulzhan Beisebayeva muss sich anstrengen, um die Maschinen zu übertönen. Mit Haarnetz auf dem Kopf und in weißem Kittel steht die 58-Jährige im Herzen einer mehrgeschossigen Industriemühle. 400 Tonnen Weizen vermahlt der Walzenstuhl jeden Tag. Die gelernte Müllerin ist bei dem kasachischen Unternehmen Asia Aggro Food für die Qualitätssicherung verantwortlich.
Wir bekommen den Weizen per Zug aus dem Norden Kasachstans geliefert. Wir können Mehl in jeder Qualitätsstufe produzieren, je nachdem was der Kunde wünscht. Am stärksten nachgefragt ist Mehl der Kategorie 2. Das exportieren wir nach Afghanistan. Es entspricht den Maßgaben des UN-Programms zur Bekämpfung von Hungersnöten. Auch in Kasachstan wird Mehl dieser Qualitätsstufe verkauft, der Staat subventioniert es, um die Brotpreise niedrig zu halten.
Beisebayeva ist eine von rund 600 Angestellten die bei Asia Aggro Food Weizenmehl, Maissirup und Tierfutter herstellen. Das Unternehmen sitzt in Shamalgan, etwa eine Autostunde westlich der Wirtschaftsmetropole Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Vor der Mühle sind Schienenstränge verlegt, auf denen schwere Güterwaggons die Ware in die Nachbarländer wie Usbekistan oder Kirgistan bringen — aber auch zu einem ganz speziellen Kunden: Afghanistan.
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Krieg der Steine
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Armenien hat den Krieg um Bergkarabach verloren. 100.000 Menschen sind geflohen. Im Exil sorgen sich viele um die Kirchen, Klöster und Kreuzsteine, die sie zurücklassen mussten.
Hell klingt das Glockenspiel der Sankt-Thaddäus-Kirche. Mühelos übertönt es das Schreien der Kinder auf dem nahen Spielplatz und auch die alten Männer im Park blicken kurz auf. In Masis, tief im Westen Armeniens und nur wenige Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt, wird heute geheiratet. Der verlorene Krieg ist zumindest ein paar Stunden vergessen.
Benjamin Saturjan steht abseits der Hochzeitsgesellschaft in der Sonne. Der Priester ist vor wenigen Wochen aus der umkämpften Region Bergkarabach geflohen. Er ist einer von 100.000 Menschen, die seit Mitte September aus Furcht vor den aserbaidschanischen Siegern ins armenische Kernland geströmt sind.
Bei meiner Flucht trug ich bequeme Klamotten, wir saßen ja mehr als einen Tag lang im Auto. Meine Mutter hatte mich gebeten, keine Soutane zu tragen, damit die Aserbaidschaner nicht sehen, dass ich ein Priester bin. Ich habe keinen Zweifel, dass sie gezielt nach uns gesucht haben. Wenn sie schon einfache Gläubige quälen, was würden sie erst mit uns anstellen. Wir waren mit dem Tod bedroht.
Der letzte Waffengang zwischen den verfeindeten Ländern dauerte nur 25 Stunden — dann gaben sich die Armenier geschlagen. Neben Häusern und Habseligkeiten ließen sie auch etwas anderes zurück: ihr christliches Erbe in Form von Kirchen, Klöstern und kunstvoll gehauenen Kreuzsteinen, den so genannten Khachkars.
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Die neue Welle
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Befeuert von Russlands Angriff auf die Ukraine stellen junge Kasachen das sowjetische Erbe ihrer Heimat auf den Prüfstand.
Im Äuesow-Dramatheater in der kasachischen Metropole Almaty ist an diesem Freitagabend auch der Oberrang gut gefüllt. Es sind vor allem junge Menschen, die das Geschehen auf der Bühne verfolgen und mit ihren Smartphones filmen. Aufgeführt wird Quyın, Wirbelwind. Es ist stürmisches Theater, das die russisch-kasachische Vergangenheit über drei Stunden als Geschichte der Kolonialisierung neu verhandelt.
Tschaikowskis Schwanenthema und die Bässe einer Putin-kritischen Elektroformation aus Russland bilden den musikalischen Rahmen. Russland, das Imperium, ist hier eine übergewichtige Königin die lachend über verhungernde Steppenbewohner stolpert. Die Kasachen sind Prügelknaben, dürre und verängstigte Gestalten. Doch sie emanzipieren sich, stellen sich dem Imperium entgegen. Das junge Publikum applaudiert stehend. So ein Stück, flüstert mir meine Sitznachbarin zu, hat es in Kasachstan noch nie gegeben.
Kasachstan, das wirtschaftlich bedeutendste Land Zentralasiens, diskutiert wieder einmal über sein Verhältnis zum großen Nachbarn Russland. In Almaty, dem kulturellen Zentrum des Landes, lebt Zarina Mukhanova. Die Anthropologin forscht zu Dekolonialisierung und ist wie auch das Ensemble am Äuesow-Dramatheater Teil einer Bewegung, die das Erbe der Sowjetzeit selbstbewusst auf den Prüfstand stellt — und als Geschichte der Kolonialisierung neu erzählt.
… vollständige Reportage hören (Deutschlandfunk Kultur — Weltzeit)
Chinas langer Arm
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Geflüchtete Uiguren sind selbst im Ausland nicht vor der chinesischen Regierung sicher. Ein Besuch in Istanbul.
Das Blaulicht des Polizeiwagens flackert über wütende Gesichter. Hunderte Uiguren sind auf der Straße zusammengekommen. Es ist spät, die Stimmung vor dem Buchladen ist aufgeheizt. Tief im Westen von Istanbul schleppen Polizisten Säcke voller Bücher aus dem Buchladen — durch die aufgebrachte Menge — und verladen sie in einen LKW. Dann endet das Video. Es wurde von einem Anwohner aufgenommen und machte später auf Twitter die Runde.
“Ich habe gerade mit einem Kunden gesprochen, als zwei Polizisten in den Laden kamen. Die beiden habe ich erkannt, sie waren bei der ersten Razzia dabei. Sie machten Fotos. Ich fragte, ob alles in Ordnung sei und sie antworteten, es liegen Beschwerden gegen dich vor. Dann kamen fünf oder sechs weitere Polizisten herein.”
Abdulla Turkistanli seufzt. Sein Rücken ist nach 13 Jahren in chinesischen Gefängnissen kaputt. Aber auch die Erinnerungen an den 14. März schmerzen. An diesem Abend stürmen türkische Polizisten seinen Buchladen in Istanbul — zum zweiten Mal. Turkistanli ist sicher: Auch dieses Mal steckt eine Beschwerde der chinesischen Regierung hinter dem Einsatz.
Denn der 56-Jährige verkauft in seinem Laden uigurische Literatur. Gebundene Bücher, aber auch selbst ausgedruckte PDF-Dokumente. Abdulla stammt aus Xinjiang und will die Schriften der Heimat der Uiguren für die nächste Generation bewahren. In der Volksrepublik China ist das nicht mehr möglich.
… vollständige Reportage hören (Deutschlandfunk Kultur — Weltzeit)
Der Wirtschaftszweig
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Was für Europäer Alkohol ist, sind in Ostafrika die Blätter des Khat-Strauchs. Die Droge ist Teil der Kultur; und ein Geschäft mit dunklen Seiten.
Die Ankunft des Minivans — morgens um kurz vor acht — ist für die meisten Dorfbewohner der wichtigste Termin des Tages. Der Fahrer reißt die Seitentür seines weißen Toyota auf und hievt hektisch bündelweise Khat in die Schubkarren der Frauen. Die Verkäuferinnen haben am Straßenrand bereits auf ihn und die erste Tageslieferung der Kaudroge gewartet.
“Das Geschäft läuft gut. Ich bekomme das Khat problemlos verkauft, das sind vier Bündel zu je einem Kilo. Meine Kunden kommen hier aus dem Dorf, aber auch LKW-Fahrer auf Durchfahrt versorgen sich bei mir. Die meisten Menschen im Dorf kauen Khat.”
Hinda Mohamad trägt an diesem Morgen einen eleganten lila Hijab, ihre Fingernägel hat sie mit Henna gefärbt. Ihr Dorf Gadhka Warsame-Xaad — etwa eine Autostunde östlich der Hauptstadt Hargeisa — ist klein, die Nachfrage nach Khat aber groß. Vier Verkaufsstellen gibt es, eine davon gehört Hinda Mohamad. Neben Khat verkauft sie dort auch Getränke und Snacks.
“Üblicherweise starten die Männer mit dem Khat gegen 13 Uhr. Andere beginnen aber auch früh am Morgen. (…) Manche kauen bis Mitternacht, erst dann schließe ich meinen Laden.”
Keine andere Droge ist am Horn von Afrika so begehrt wie Khat. Angebaut wird die Pflanze im Hochland von Äthiopien, von dort aus exportieren sie Geschäftsmänner nach Dschibuti, Kenia und Somalia. Es ist ein Wachstumsmarkt, die Industrie längst ein regionaler Wirtschaftsfaktor. 2020 ermittelte eine Studie der äthiopischen Haramaya Universität, dass sich die Anbaufläche in den letzten zwei Jahrzehnten verdreifacht hat.
Doch mit dem Boom nehmen auch die sozialen Probleme im Land zu.
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Das Prinzip Hoffnung
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Somaliland macht Reisenden ein verführerisches Angebot: Ein Land zu entdecken, das es offiziell nicht gibt. Notizen von einer Fahrt entlang der einzigen Schnellstraße des Landes.
Geschützt vor den Zumutungen der Großstadt empfängt das Maansoor Hotel seine Gäste hinter Mauern und einer Sicherheitsschleuse. Dahinter wartet ein Arrangement aus Bungalows, Konferenzzentrum, ambitioniertem Rasen und kalten Getränken. Im Café wartet Mustafa Ismail. Ob sein Somaliland den Gast gut empfangen habe, erkundigt sich der Diplomat, steht zur Begrüßung auf und blinzelt aus blauen Augen in die Mittagssonne.
Auch Ismail ist zu Besuch, wohnt eigentlich in Göttingen und ist Repräsentant seiner Heimat in Deutschland. Botschafter darf er sich nicht nennen, denn Berlin erkennt Somaliland nicht als unabhängigen Staat an. “Solange wir uns anerkennen, ist es doch zweitrangig, ob andere das akzeptieren”, winkt Ismail ab. Überhaupt, die Menschen hier seien geduldig. “Ohne Hoffnung könnte das alles doch nicht existieren.”
Das kleine Somaliland mit seinen fünf Millionen Einwohnern liegt am Horn von Afrika. Eingezwängt zwischen Dschibuti im Westen, Äthiopien im Süden und den somalischen Rumpfstaat im Osten. 1991 verabschiedet die frühere britische Kolonie nach mehreren Jahren Bürgerkrieg ihre Unabhängigkeitserklärung — die bis heute weder von afrikanischen noch von westlichen Ländern anerkannt wird. Doch Somaliland hat sich bis heute als Republik behauptet.
Der Diplomat Mustafa Ismail ist Gast im Hotel Maansoor, eine der besten Adressen in der Hauptstadt Hargeisa. Das Restaurant serviert internationale Küche, der Geldautomat in der Lobby zahlt Dollar aus, eine Gruppe von Studenten der medizinischen Fakultät feiert an diesem Nachmittag ihren Abschluss. Die Nachrichtenbilder aus dem von Konflikten zerrütteten Somalia scheinen weit weg.
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Am Wasser gebaut
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Die Republik Somaliland hat sich 1991 für unabhängig erklärt. Im Gegensatz zu seinen Nachbarländern herrschen dort Demokratie und Sicherheit, weshalb Dubai in der autonomen Region investiert. Doch mit den Investitionen kommen neue Probleme.
Im Hafen von Berbera verlädt ein 50 Meter hoher Schwerlastkran im Minutentakt Container. In wenigen Stunden wird die AS Alva beladen sein und den einzigen Hafen Somalilands Richtung Indien verlassen. Bis vor Kurzem war der Hafen des international nicht anerkannten de facto Staats für solche Schiffe zu klein. Schichtleiter Mohamed Atteye zeigt auf ein Schiff, auf dessen Deck mehrere Kräne sind:
“Damit mussten wir bislang arbeiten. Es ist enorm aufwendig, auf diese Weise Container zu bewegen. Es kostet nicht nur Zeit, sondern ist auch gefährlich. Es gab Knochenbrüche und sogar Todesfälle. Mit dem neuen Kran müssen Menschen die Container nicht mehr anfassen.”
Neben ihm steht der stellvertretende Hafenmeister Mohamad Abdulla, auch er schwärmt:
“Alles hat sich verändert. Die Ausrüstung, die Kräne, all das hat uns vorher gefehlt. Sie sehen es doch selbst. Alles ist modernisiert. Ein Schiff mit 700 bis 1000 Containern können wir jetzt in zehn, vielleicht zwölf Stunden entladen. Wenn es am Morgen einläuft, kann es manchmal am Abend schon wieder abfahren.”
Hinter der Entwicklung am Hafen von Berbera steht DP World. Das Unternehmen aus dem Emirat Dubai hat das Hafenbecken vertieft, den Kai verlängert und modernste Kräne installiert. 442 Millionen US-Dollar investiert das Unternehmen — mehr als der Staatshaushalt Somalilands.
Von Berbera sollen Waren per Lastwagen die 117 Millionen Menschen in Äthiopien beliefern — denn das Nachbarland hat selbst keinen Zugang zum Meer. Und so hoffen die Menschen in einer der ärmsten Regionen der Welt auf ein Wirtschaftswunder.
… vollständige Reportage hören (Deutschlandfunk Kultur — Weltzeit)
Rote Fäden
© Screenshot CCTV
Steckt in deutscher Markenkleidung Baumwolle aus Zwangsarbeit? Eine Spur führt über die Plantagen und Fabriken der chinesischen Region Xinjiang bis in die Lager großer Bekleidungsunternehmen.
Neun Zeitzonen und über 5.000 Kilometer trennen die Innenstädte von Berlin und Hamburg mit ihren Geschäften voller Sport- und Luxusmarken von der chinesischen Region Xinjiang. Und doch sind die Orte miteinander verbunden: Im Nordwesten Chinas wird weltweit gefragte Baumwolle angebaut, geerntet und verarbeitet. Und dieser Recherche zufolge findet sich das daraus gesponnene Garn offenbar in Kleidung deutscher Modemarken: Adidas, Hugo Boss, Puma, Jack Wolfskin und Tom Tailor.
An sich wäre das kein Problem, bestünde nicht der Verdacht, dass die Baumwolle aus Xinjiang durch Zwangsarbeit gewonnen wird. In der chinesischen Region hat die Regierung von Staatspräsident Xi Jinping über Jahre ein industrielles System der Unterdrückung aus Arbeitslagern und Gefängnissen geschaffen. So schuften vor allem Angehörige muslimischer Minderheiten für das chinesische Wirtschaftswunder. Uiguren, Kasachen, Kirgisen und andere, die aus Sicht Pekings die Einheit der Volksrepublik gefährden. In Xinjiang will man sie offenbar umerziehen — und beutet sie dabei auch wirtschaftlich aus.
Wegen dieser Vorwürfe haben die USA seit Januar 2021 den Import von Baumwollprodukten aus Xinjiang unter Strafe gestellt. Deutsche Unternehmen wie Hugo Boss, Adidas und Puma hatten damals versichert, aus der Region keine Baumwolle zu beziehen — oder dies künftig nicht mehr tun zu wollen. Doch wie glaubhaft sind solche Behauptungen angesichts der Tatsache, dass ein Fünftel der weltweit produzierten Baumwolle aus Xinjiang stammt?
Diese Reportage ist das Ergebnis monatelanger Recherche. Eine Reise, Schritt für Schritt entlang eines roten Fadens, der Plantagen in Xinjiang mit Läden in deutschen Innenstädten verknüpft. Sie führt uns in ein Labor im niederrheinischen Jülich und nach Manchester, Istanbul und andere Orte, die nicht genannt werden dürfen. Chemische Analysen, Frachtbriefe, in einem Teppich geschmuggelte Baumwolle und Aufnahmen des Satelliten Sentinel-2 werden eine Rolle spielen.
Wir haben Menschen getroffen, die Opfer von Zwangsarbeit auf den Feldern und in den Fabriken von Xinjiang geworden sind, und einen, der das System von innen kennt. Er sagt, dass er früher selbst verschleppt und gefoltert hat und heute, wie seine Opfer, in Angst vor dem chinesischen Sicherheitsapparat lebt. Und wir sprechen mit einer Person, die seit Jahrzehnten in China arbeitet und überzeugt ist: Wer hier Geschäfte macht, kann nicht ausschließen, dass er von Unterdrückung profitiert.
Diese Recherche wurde mit dem Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 ausgezeichnet. Sie war außerdem nominiert für den Deutschen Journalistenpreis 2022 sowie den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2022.
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… eine Zusammenfassung der Reportage lesen (ARD — Tagesschau)
… mehr zu Zwangsarbeit in Lieferketten deutscher Unternehmen sehen (ARD — Weltspiegel)
Afghanistan wird dunkel
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Etwa 1000 Afghaninnen und Afghanen sind in einem Hotel an der albanischen Adriaküste untergebracht. Darunter viele Journalisten, die eine Exil-Redaktion aufbauen wollen, um das zu berichten, was ihre Kollegen in Afghanistan nicht mehr dürfen.
Ein Strand an der Adriaküste Albaniens. Das Meer ist sanft heute und spült nur in kleinen Wellen über den Sand. Entlang des Ufers ziehen sich mehrstöckige Hotelbauten. Wie eine Mauer aus pastellfarben gestrichenem Beton, die sich erst am Horizont verliert. Klein sehen dagegen die Menschen aus, die in Dutzenden Grüppchen entlang der Strandpromenade schlendern.
„Jeden Nachmittag und jeden Abend laufen die Migranten hier auf und ab“, meint Faisal Karimi. Wenn er von Migranten spricht, meint er auch sich selbst: „Es hilft beim Nachdenken und es ist gut, um sich auszutauschen, um mit der Familie und Freunden zu sprechen. Nach dem Mittagessen spaziere ich mit meiner Frau, am Nachmittag dann mit Kollegen. Mindestens zwei, drei Stunden laufen wir gemeinsam.“
Der 37-Jährige stammt aus Afghanistan. In der abkühlenden Herbstluft zieht er seine schwarze Lederjacke enger um die Schultern, der Wind zerrt an seinem dünnen Haar.
Karimi ist Journalist und einer von mehr als 1000 Afghaninnen und Afghanen, die die albanische Regierung hier an der Küste des Landes untergebracht hat. Nach dem Fall der alten Regierung und der Machtübernahme der Taliban, haben Karimi und die anderen Geflüchteten in Shëngjin ein temporäres Zuhause in einem der vielen Hotels gefunden, die es in dem kleinen Küstenort gibt.
… vollständige Reportage hören (Deutschlandfunk Kultur — Weltzeit)
Von hier bis nach New York
© Sebastian Backhaus
Kateryna Oman hört den Krieg schon gar nicht mehr, obwohl er so nah ist. Besuch bei Menschen an der Frontlinie im Osten der Ukraine
Als das erste Mal an diesem Tag eine Explosion zu hören ist, steht Kateryna Oman am Pavillon der Verliebten. Dort wo sich am Abend die Menschen von Novhorodske treffen, döst im Moment nur eine Katze in der Mittagssonne. “Die liebt nur sich selbst”, sagt Kateryna Oman und lacht, als wäre da eben kein Artilleriefeuer zu hören gewesen.
Auf das erste Grollen folgen zwei weitere Einschläge. Dann Stille. Der Krieg ist nah in Novhorodske. Zwei, drei Kilometer in diese Richtung, schätzt Kateryna und zeigt Richtung Osten. Die Explosionen scheinen nie weit entfernt, doch sie unterbrechen das Leben der Menschen in Novhorodske nicht mehr. Niemand geht langsamer oder schaut besorgt auf, kein Auto hält, kein Gespräch stockt.
Auch die 17-Jährige ist mit ihren Gedanken weit entfernt vom Krieg. Heute ist ihr letzter Schultag. An ihrem weißen Shirt hängen deshalb ein Glöckchen und eine blau-gelbe Schleife in den ukrainischen Nationalfarben. Jedes Mal wenn sie einen Tanzschritt macht, klingt es hell durch den Park. Auf sie und ihre Freunde warten jetzt die großen Sommerferien.
Der Pavillon der Verliebten ist ein kleiner Platz mit Bänken direkt neben dem Kindergarten der Kleinstadt inmitten einer von Bäumen gesäumten Grünanlage. Früher wohnten in Novhorodske 24.000 Menschen, heute sind es halb so viele. Denn auch wenn die Menschen sich an den Krieg gewöhnt haben, schreckt er doch Investoren ab. So verschwanden erst die Arbeitsplätze und dann die Menschen.
… vollständige Reportage lesen (Chrismon)
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