Unter Bestien
Ein waghalsiges Unterfangen hat die letzten überlebenden Wildtiere aus dem Zoo von Aleppo nach Jordanien gebracht. Dort entsteht nun ein Refugium für vertriebene Vierbeiner aus der gesamten Region.
Zukar dreht nervös seine Runden. Er tappst wie ein Häftling den immergleichen Pfad entlang und schaukelt seinen schweren Braunbärenschädel abwechselnd von links nach rechts, als suche er noch immer nach Orientierung. Der Körper des Tieres ist knochig, sein Fell stumpf; und doch muss man sich Zukar als glücklichen Bären vorstellen. Denn anders als seine ehemaligen Mitgefangenen hat er den Zoo von Aleppo und den Krieg in Syrien überlebt.
Eine Autostunde von der jordanischen Hauptstadt Amman entfernt, ist Zukar jetzt daheim. In dem von zahlreichen Hügeln durchzogenen Umland von Jerasch führt eine steile Seitenstraße zum Tierrefugium Al-Ma’wa hinauf. Dem ersten und größten seiner Art im Nahen Osten. Auf einer von Olivenhainen umgebenen Kuppe gelegen, wissen selbst viele Einheimische nichts von dem Projekt, das sich hier über 140 Hektar erstreckt. In Abgeschiedenheit und Stille, das ist die Hoffnung, sollen geschundene Tiere Frieden finden.
“Jordanien ist einer der wenigen sicheren Orte in diesem Teil der Welt”, sagt Dr. Yousef Zreeqat. “So viele Menschen sind vor Kriegen und Konflikten zu uns geflüchtet, und so muss man es sich auch mit den Tieren vorstellen.” Mit grünem Polohemd und beiger Weste sieht Zreeqat aus, als bekäme er problemlos eine Rolle in der Neuauflage von “Daktari”. Er pflegt einen vertrauten Umgang mit seinen Patienten, sein Blick auf die ausgemergelten Körper ist voller Empathie: “Viele der Tiere wurden vernachlässigt und haben schlimme Dinge erlebt. Sie wurden weder gefüttert noch medizinisch versorgt. Die haben echten Horror erlebt.”
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Reha für Dschihadisten
In einem Therapiezentrum in Riad bereitet Saudi-Arabiens Königshaus radikale Islamisten auf die Rückkehr in die Gesellschaft vor: mit Fußball, Tischkicker und Billard. Bringt das was? Ein Ortsbesuch.
Wer zu den Dschihadisten kommt, wird mit Datteln und Kaffee begrüßt. Eine Delegation aus rund einem Dutzend Therapeuten und Beamten des Mohamad Bin Naif Counseling and Care Center empfängt den ausländischen Besucher, sobald er die Anlage im Norden der saudischen Hauptstadt Riad betritt. Es ist ein Gefängnis, das nicht Gefängnis genannt werden darf. Und in dem es statt Häftlingen nur Begünstigte gibt.
Das Center ist aber nicht nur einer der ungewöhnlichsten Orte Saudi-Arabiens, sondern auch ein Eckpfeiler im Kampf des Landes gegen extremistische Ideologien und Terrorismus. Es ist der großangelegte Versuch des saudischen Staates, den radikalsten und potenziell gefährlichsten Bürgern eine zweite Chance zu geben. Das Center ist deshalb eine Mischung aus Therapiezentrum, betreuter Wohngruppe und offenem Vollzug.
Seitdem das Programm 2004 als Reaktion auf eine Welle schwerer Qaida-Anschläge gegründet wurde, haben es nach Angaben des Centers rund 3700 saudische Männer durchlaufen. Wer hier ist, wurde zuvor von einem saudi-arabischen Gericht wegen Verstoßes gegen die Anti-Terrorgesetze verurteilt, hat seine Haftstrafe aber bereits verbüßt. Der verpflichtende, mehrmonatige Aufenthalt im Center steht im Anschluss an das Gefängnis und soll die Rückkehr in die Gesellschaft ermöglichen.
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Papiere!
Mehrere Hunderttausend Menschen im Libanon gelten als staatenlos. Sie dürfen nicht reisen, nicht legal arbeiten, nicht einmal ein Kraftfahrzeug anmelden. Was hat das mit Identität zu tun?
Der meistunterschätzte Besitz vieler Deutscher misst 88 mal 125 Millimeter und ist bordeauxrot-violett eingeschlagen. Der Reisepass, ein Büchlein im Viertelblatt-Format B7, dokumentiert unsere Herkunft und Identität, bezeugt Zugehörigkeit, gewährt Rechte, lässt Grenzen passieren, schützt vor staatlicher Willkür. Doch was uns selbstverständlich scheint, ist für viele Libanesen unerreichbarer Luxus.
“Manchmal möchte ich über meine Lage nicht mehr nachdenken.” Shadias trotziges Lächeln wirkt unsicher: “Das ist doch alles wie ein böser Traum.” Die gebürtige Libanesin ist Mutter eines kleinen Mädchens, und trotz ihrer kämpferischen Pose sitzt sie verzweifelt am Schreibtisch ihres Büros in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Denn die Tochter der Sekretärin ist quasi staatenlos, seit ihrem ausländischen Ehemann die Staatsbürgerschaft entzogen wurde.
Laut Vereinten Nationen ist ein Staatenloser eine Person, die “kein Staat aufgrund seines Rechtes als Staatsangehöriger ansieht”. Schuld an Shadias Situation ist ein juristisches Fossil aus Zeiten des Osmanischen Reichs, das im Libanon auch die französische Herrschaft überdauert hat. Denn während Nationalität üblicherweise qua Blutsverwandtschaft, Geburtsort oder einer Kombination aus beidem erlangt wird, regelt im Libanon ein Beschluss von 1925, dass die libanesische Staatsbürgerschaft nur vom Vater vererbt werden kann. Das Land ist damit eines von nur 27 weltweit und eines von zwölf in der MENA-Region, in denen Mütter ihre Nationalität nicht weitergeben können.
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Insel der Seligen
Seit wann pilgern Juden anderswo hin als nach Jerusalem? Auf Djerba schon ziemlich lange. Für die einen ehrt die Ghriba die tunesische Demokratie. Für die anderen ist es ein Fest zum Flirten — mit Gefahren von ganz unerwarteter Seite.
Am Freitag vor dem großen Finale der Pilgerfahrt verdunkelt sich der Himmel. Der Wind peitscht Sand aus der Sahara in Böen über Djerba und schüttelt die Flugzeuge beim Anflug auf die größte Insel Nordafrikas. Die Sitzreihen der Maschinen sind gut gefüllt, haben sich doch unerwartet viele jüdische Pilger und Zaungäste angekündigt. Hunderte Gläubige aus Frankreich, Israel, Belgien, Australien und Großbritannien sind gekommen, um das jüdische Fest “Lag baOmer” in der El-Ghriba zu begehen, einer der ältesten Synagogen der Welt.
Die Pilger beleben mit ihrem Kommen eine Tradition, die so gar nicht mit dem Zeitgeist vereinbar scheint. Seit Jahren ruft die israelische Regierung arabische Juden nach Jerusalem und warnt seine Bürger vor Reisen nach Tunesien und dem Besuch der El-Ghriba-Synagoge. Eine Warnung, der sich die britische und belgische Regierung nach den Anschlägen von Sousse und Bardo 2015 angeschlossen haben. Tunesien ist noch immer im Ausnahmezustand. Das Land kämpft mit seiner schwachen Wirtschaft und einer porösen Ostflanke zum benachbarten Libyen, über die nicht nur Benzinschmuggler ins Land kommen, sondern immer wieder auch Kämpfer des selbst ernannten “Islamischen Staats”. Erst Anfang vergangenen Jahres schlichen vermummte Kämpfer über die Grenze und stürmten in die nur wenige Dutzend Kilometer Luftlinie von Djerbas wichtigster Synagoge entfernt liegende Stadt Ben Guerdane. 45 Menschen verloren ihr Leben, der Schock sitzt tief.
Die Ankunft der Pilger in solch stürmischen Zeiten hat deshalb etwas Trotziges und ermutigt die Inselbewohner, die wie viele Tunesier vom Tourismus leben. “Wir haben das Fest viele Monate vorbereitet und hatten ein gutes Gefühl; aber am Ende ist es noch besser und größer geworden”, René Trabelsi faltet zufrieden die Hände vor den Bauch und wirkt sichtlich erleichtert. Der in Frankreich lebende Mittvierziger wäre beinahe tunesischer Tourismus-Minister geworden und hat stattdessen mit seiner Reiseagentur “Royal First Travel” maßgeblich dazu beigetragen, dass die tunesische Regierung am Ende von 3.000 Pilgern sprechen darf, ohne rot zu werden. Eine Leistung, die die Pilger mit Schulterklopfen aller Orten würdigen, während sie dafür sorgen, dass stets genug Boukha in Trabelsis Becher ist. Und es ist nicht nur der tunesische Feigenschnaps der ihn zu späterer Stunde die El-Ghriba zum Symbol für die Möglichkeit des Friedens zwischen den Religionen erklären lässt.
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Die Unruhe nach dem Sturm
© Stian Overdahl
Suizide und Depressionen: Im post-revolutionären Ägypten leiden Menschen unter den Folgen traumatischer Gewalterfahrung und enttäuschter Hoffnungen. Auch für Psychologen und Psychiater ist die Schmerzgrenze erreicht.
Der Regen bringt den Geruch von Lehm und zieht Schlieren auf der Kleidung. Es ist schmutziges Wasser, das im Fallen den Smog aus Kairos Luft mit sich zu Boden reißt und dort fleckig gerinnt. Unter einem trüben Winterhimmel ohne sichtbaren Horizont suchen die Menschen entlang der vierspurigen Ausfallstraße Unterschlupf. Eine Bushaltestelle, ein Taxi, die überhängenden Äste eines Baums.
Die Blicke sind auf die eigenen Füße geheftet, es gibt kaum Blickkontakt, denn vor dem Abbasseya-Krankenhaus, der größten Psychiatrie Ägyptens, wollen Patienten, Angehörige und Passanten einander nicht erkennen und nicht erkannt werden. Depression, Manie, Schizophrenie: Wessen Seele leidet, der findet in Ägypten nur selten die nötige Zuwendung.
Dr. Sameh Hagag, stellvertretender Direktor der Psychiatrie im Abbasseya-Krankenhaus, weiß um diesen Mangel und kann ihn doch nur verwalten. Seine Gäste empfängt der drahtige 36-Jährige am Ende einer geschwungenen Auffahrt, die zu einem der beiden Haupttrakte der Einrichtung führt.
Historische Gebäude, errichtet am Ende des 19. Jahrhunderts, deren verblassender Grandeur mit meterhohen, aus hellem Stein geschlagenen Säulen es doch nicht gelingt, die Baufälligkeit der Anlage zu kaschieren. Da stecken weggeworfene Stühle in frisch aufgeworfenem Erdreich, kaputte Kühlschränke fangen den Staub schon im Eingangsbereich der Klinik und Hagags Büro ist mit seiner niedrigen Decke und dem kleinen Fenster kaum noch bescheiden zu nennen.
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Verblühter Yasmin
© Stian Overdahl
Wo der Arabische Frühling 2011 begann, leben heute Schmuggler und Terroristen. Viele der einstigen Revolutionäre wollen nur noch eins: weg.
Die Terroristen kamen an Silvester und blieben sie bis zum Morgen. Der alte Bauer lächelt scheu als er von der Begegnung berichtet. Vor dem weißgetünchten Haus spielen seine Kinder, zwei gefleckte Katzen dösen träge in der Sonne, während die Frauen den Haushalt der kleinen Farm im Westen der tunesischen Provinz Kasserine besorgen. Keine Straße führt hierher, Besucher müssen zu Fuß durch ein lehmiges Wadi steigen. Ein angeleinter Esel guckt neugierig zu.
600 Dinar boten die Aufständischen dem Bauern. Lediglich etwas Vieh wollten sie dafür, berichtet er. So eine Gelegenheit bietet sich einem Mann wie ihm selten; da habe er die Vermummten aus lauter Verlegenheit und Angst gleich noch zum Essen eingeladen. Noch heute ist der verbrannte Fleck Erde zu sehen, an dem sie ein Feuer errichteten und die Neujahrsnacht gemeinsam verbrachten.
Es ist kein Zufall, dass die Geschichte von den großzügigen Terroristen rasch die Runde machte. 600 Dinar sind umgerechnet 250 Euro. Viel Geld in einer Gegend, die zu den ärmsten des nordafrikanischen Landes zählt und die auf eine lange Geschichte wirtschaftlicher und politischer Verwerfungen zurückblickt. Hier, im Nordwesten des Landes, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Algerien entfernt, ist Tunis weit weg.
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Wir drucken das
© Rajiv Raman
Hunderttausende Kriegsversehrte sind aus Syrien geflüchtet. Mit 3D-Druckern wollen zwei junge Gründer ihnen dabei helfen, ihr Leben im jordanischen Exil wieder in den Griff zu bekommen.
Überall liegen Körperteile. Ganze Hände, einzelne Finger, abgetrennte Ohren. Von Regalböden schauen neugierig kleine Roboter hinab, neben ihnen stehen unvollendete Büsten, transparente Organe, abstrakte Skulpturen. Was den Besucher hier im Westen der jordanischen Hauptstadt Amman erwartet, scheint direkt den Tagträumen eines Lewis Carroll, Autor von “Alice im Wunderland”, entsprungen. Doch um Träume geht es Loay Malameh nicht.
Die skurrile Sammlung ziert das Büro von Refugee Open Ware, kurz ROW. Loay hat das Startup gemeinsam mit seinem Freund, dem Amerikaner Dave Levin, im Spätsommer 2014 gegründet. Gemeinsam wollen die beiden jungen Gründer mit der Technologie von morgen den Abgehängten von heute helfen. Die emsig surrenden Zeugen ihrer ehrgeizigen Pläne sind ein halbes Dutzend im Raum verteilt stehende Geräte vom Format eines Bierkastens.
Es sind 3D-Drucker, in deren Inneren ein vom Computer gesteuerter Druckkopf millimeterweise flüssigen Kunststoff spritzt und so Schicht für Schicht künstliche Hände und andere Körperteile entstehen lässt. Wenn der Plan von Loay und Dave aufgeht, werden diese Prothesen bald syrischen Flüchtlingen dabei helfen, ihren Alltag wieder in den Griff zu bekommen.
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Mit Comics gegen Extremismus
© Suleiman Bakhit
Suleiman Bakhit glaubt an die Kraft guter Comics.
Wäre sein Leben ein Comic, Suleiman Bakhit wäre der Held. Dabei sieht er zunächst wie ein Schurke aus: rasierter Schädel, buschige Augenbrauen und eine Narbe, die seine linke Wange spaltet. Doch dann sind da ein sanfter Händedruck, ein offenes Lächeln — und die Tatsache, dass der Jordanier Suleiman mit Comics gegen Terroristen kämpft.
Suleiman guckt nachdenklich, während er Löffel um Löffel eine gewaltige Portion Zucker in seinen Tee rührt. “Kinder brauchen Vorbilder, die für das Gute kämpfen und wenn wir nicht wollen, dass sie in irgendeinen Krieg ziehen, müssen wir ihnen solche Helden anbieten.”
Aus dieser Überzeugung heraus gründete Suleiman 2006 das Comic-Studio Aranim. Der Name ist ein Kunstwort aus Arabisch und Anime: Im Stil japanischer Zeichentrickfilme entwirft Suleiman arabische Superhelden. Seine Comics heißen Princess Heart, Saladin 2050 und Element Zero. In Element Zero kämpft ein Spezialagent in bester James-Bond-Manier gegen Terroristen, in Saladin 2050 sucht der Held in einem dystopischen, abgerockten Nahen Osten nach sauberen Energiequellen. Princess Heart wagt den wohl größten Schritt: Der Orient-Klassiker 1001 Nacht wird mit weiblichen Heldinnen neu interpretiert.
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Höllenlärm und Heldenmut
Heavy Metal gilt in Jordanien als Teufelszeug, doch die Szene hält tapfer dagegen. Ein Besuch in Amman.
Sie erkennen den Spion, wie sie ihn später nennen werden, bereits im Foyer. Er kommt allein, druckst und schwitzt, als sie seine Konzertkarte kontrollieren. Adam Lebzo seufzt. „Wir wussten genau, wer das war.“ Reingelassen haben sie ihn dennoch. „Wir haben doch nichts zu verbergen.“ Lebzo ist Musiker und würde er in Europa oder Amerika leben, seine Geschichte wäre keine besondere. Doch der Gitarrist, Sänger und Bassist Lebzo lebt in Jordanien und spielt Metal. Eine ideale Kombination, wenn man auf ein Leben voller Probleme aus ist.
Der Mann, den Adam Lebzo und seine Freunde Spion nennen, ist Blogger. Seinen Bericht veröffentlicht er kurz darauf auf der Webseite Sawaleif. „Bei öffentlichem Konzert gezeigte Gesten werfen Fragen auf“, behauptet die Überschrift, die mit drei Ausrufezeichen endet und gut auf den Tenor des Stücks einstimmt. Freimaurer hätten sich da getroffen, Empörung sei angebracht. „Er meint die Metal-Hand“, sagt der 23-jährige Lebzo. Geschlossene Hand, Zeige- und kleiner Finger abgespreizt. „Ich habe keinen blassen Schimmer, wie der darauf kommt, wir seien Freimaurer.“ Zu spät. Auf Facebook teilen mehrere tausend Jordanier den Artikel und den körnigen, heimlich gefilmten Konzertmitschnitt.
Lebzos Eltern, strenggläubige Tscherkessen, werfen ihren Sohn aus dem Haus. Der kommt bei Freunden unter und überredet die Sawaleif-Betreiber, seine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Die willigen schließlich ein, doch der Artikel zeigt keine Wirkung.
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Der Anker
Jordanien ist einer der letzten Stabilitätsanker im Mahlstrom, der den Nahen Osten erfasst hat. Wie schaffen die das nur?
Explosionen donnern durch die anbrechende Nacht. Qualm steigt auf und behindert die Sicht. Es ist spätabends am Marka International Airport, nur das Geschrei von Hunderten Jugendlichen übertönt die Knallkaskaden. Nein, weder Krieg noch Revolution sind ausgebrochen. Vielmehr spornen die heiseren Rufe die Idole einer Rennsportnation an, die in getunten Autos und mit ohrenbetäubenden Fehlzündungen über die Rennstrecke vor dem Flughafen rasen. Die Szene steht exemplarisch für einen scheinbaren Alltag, der sich in der jordanischen Metropole Amman und auch dem Rest des Landes noch immer bewundern lässt.
Aber wie schafft es das haschemitische Königreich, seine Stabilität zu bewahren, während drumherum die alte Ordnung des Nahen Ostens zerfällt?
Die geografische Ausgangslage Jordaniens ist denkbar ungünstig, denn das Land liegt zwischen „Hammer und Amboss“, wie ein früherer Pentagon-Mitarbeiter formuliert.1 Da ist der Krieg in Syrien, der seit Jahren Hunderttausende Flüchtlinge über die jordanische Grenze treibt. Da ist der Nahostkonflikt, der immer wieder zur Intifada eskaliert und sich jedem diplomatischen Kompromiss entzieht. Da ist der allmählich zerbrechende Irak und das sendungsbewusste, keine Einmischung scheuende Saudi-Arabien. In dieser schwierigen Konstellation gelingt dem kleinen Jordanien unter König Abdullah II. mit der Wahrung seiner Stabilität ein kleines Wunder. Um im Hammer-und-Amboss-Bild zu bleiben: Jordanien erweist sich als erstaunlich harte Nuss.
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Hier sind alle Opfer gleich
In Jordanien behandelt ein Krankenhaus Kriegsopfer aus Syrien, Gaza, Jemen und dem Irak. Was hier gelingt, fehlt dem Nahen Osten sonst.
Abu Hassam lächelt, wenn er von der Rakete erzählt, die in seinem Wohnzimmer einschlug und sein altes Leben zerstörte. Der Syrer ist ein Opfer, aber er weiß um sein Glück. Denn er überlebte nicht nur die Explosion, sondern kann auch seine Geschichte auf einem frisch bezogenen Krankenhausbett sitzend erzählen. Abu Hassam ist Patient in einem der erstaunlichsten Krankenhäuser des Nahen Ostens, in der jordanischen Hauptstadt Amman.
Die französische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen behandelt hier seit 2006 Kriegsopfer. Zuerst vor allem aus dem Irak, mittlerweile aus der gesamten Region. Sie fliegt sie aus Syrien, Jemen und Gaza ein. Dieses Krankenhaus ist für den ganzen Nahen Osten da.
“Alle unsere Patienten sind kleine Wunder”, sagt Doktor Rashed Al Sammarraie. Der gebürtige Iraker hat hier im letzten Jahrzehnt Hunderte Opfer operiert. Syrer, Jemeniten, Palästinenser und Iraker. Verwundet durch Fassbomben, Sprengfallen, Tretminen, Scharfschützen oder eben Raketen, so wie Abu Hassam. “Oft zerfetzen Explosionen oder Kugeln weiches Gewebe wie Haut und Muskeln. Mit einem einfachen Autounfall ist das nicht zu vergleichen”, sagt der Chirurg.
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Hacking ISIS
© Rajiv Raman
Die ehemalige Miss Jordanien, Lara Abdallat, will den Terroristen des IS digital das Handwerk legen. Die aus dem Umfeld von Anonymous stammende Hackerin geht dafür eine ungewöhnliche Allianz ein.
Man meint zu wissen, dass Schönheitsköniginnen nicht in den Krieg ziehen. Auch wenn Weltfrieden einem Klischee folgend ganz oben auf dem Wunschzettel der Landesschönsten steht, erwartet niemand, dass sie dieses Ziel jenseits von Spenden für das örtliche Tierheim auch verfolgen. Wer Lara Abdallat trifft, der ändert seine Meinung. Denn die frühere jordanische Schönheitskönigin hat einer der ruchlosesten Terrorgruppen der Neuzeit den Krieg erklärt. Lara attackiert den Islamischen Staat (IS).
Eine Lounge irgendwo in der jordanischen Hauptstadt Amman. Cremefarbene Couches im Dämmerlicht, Fernseher zeigen stumm ein Fußballspiel. Im Hintergrund stimmt Phil Collins eine dieser Schmonzetten an, die so mühelos wie zielsicher ihren Weg ins Ohr finden. Man gibt sich westlich. Dann eine Erscheinung, Köpfe drehen sich: Lara Abdallat ist hier, der Ort für das Interview war ihre Wahl. Viele Wochen gingen dem Treffen voraus, noch mehr Nachrichten, einige Telefonate. So ein Hin und Her ist unausweichlich, wenn man tut, was Lara tut.
Die Hackerin ist so elegant wie misstrauisch. Lange Beine sind in eine Hose aus überraschend dezentem Schlangenlederimitat gehüllt. Die Absätze sind für jordanische Verhältnisse unerhört hoch, der Lipgloss glüht im Halbdunkel. Sie ist herzlich, kümmert und erkundigt und entschuldigt sich und berührt dabei wie unabsichtlich den Oberarm ihres Gesprächspartners, nennt ihn stets my dear und sagt auf einmal Sätze wie: „Anonymous ist für mich wie Familie.“ Man meint dann, sich verhört zu haben.
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Alles, was ein Bier kann
© Rajiv Raman
Bier als Teil der arabischen Identität? Yazan Karadsheh erteilt mit seinem Carakale ein wenig Nachhilfe in Geschichte.
„Sie halten meinen neuen Braumeister am Flughafen fest“, stöhnt Yazan Karadsheh. Das Handy am Ohr, mit dem freien Arm rudernd und gestikulierend, hatte er zuvor beschwörend auf seinen Gesprächspartner eingeredet. Vergebens. „Was soll man machen?“, zuckt mit den Achseln, hastet zum Auto und jagt vom Hof. Alltag für den 31-Jährigen. Wer es sich zur Aufgabe macht, ein muslimisches Land wie Jordanien mit Bier zu versorgen, für den wird Schikane Routine.
Bevor der verhängnisvolle Anruf kam, schwärmte Karadsheh noch von Abfüllverfahren, Bouquets und Bierfestivals, auf denen Kenner fingerhutgroße Getränkeproben gurgeln, um dann für Minuten zu fachsimpeln. Jetzt gilt seine ganze Sorge dem am Queen Alia Airport festsitzenden Inder und den neuen Steinen, die ihm in den Weg gelegt werden.
Carakale heißt das erste Craft Beer des Landes, und die Produktionshalle mit den meterhohen, blitzenden Biertanks und der vollautomatischen Abfüllstraße beherbergt die erste rein jordanische Brauerei.
… vollständige Reportage lesen (taz)
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